Unkalkulierbare Risiko

Hände weg vom Kasernengelände

Bürgermeister Wagner möchte die Kasernen von der BImA (Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten) kaufen. Wirkliche Investoren für das Gelände hat er nicht - dafür aber Risiken in Millionenhöhe. In der Stadtverordnetenversammlung am 29. März 2012 wurde das Thema diskutiert. Fraktionsvorsitzender Klaus Bölling erläutert, warum die Stadt die Kasernen auf keinen Fall kaufen darf:

Meine Damen und Herren,
auch wenn wir heute nur über eine Teilfläche außerhalb des Kasernengeländes entscheiden sollen, müssen wir bei dieser Entscheidung die Gesamtmaßnahme im Auge behalten, denn Bürgermeister Martin Wagner hat unverdrossen ein Ziel: Er möchte die kompletten Kasernenflächen und weitere Außenflächen aufkaufen. Ich sage es gleich jetzt zu Beginn: Das ist Wahnsinn und kompletter Realitätsverlust. Zu Beginn der Sitzung ist der Haushalt für diese Jahr – von dem schon ein Viertel herum ist – eingebracht worden. Darin steht deutlich wo Homberg finanziell steht. Allein 17 Millionen Kassenkredit sind die Bankrotterklärung von Bürgermeister Martin Wagner. Klar, dass wir dazu noch die Altlasten, maroden Kanäle, unvermarktbaren Flächen und baufälligen Gebäude der ehemaligen Bundeswehr brauchen.

Meine Damen und Herren, hier ist der geplante Ankauf immer so dargestellt worden, als sei damit ein Geschäft zu machen und die wirtschaftliche Entwicklung Hombergs voranzubringen. Es wurde von Investoren gesprochen, die bereits stehen, auf dem Gelände zu investieren, dort zu produzieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

Wir haben gesagt ok, schauen wir uns das an, gründen wir eine Arbeitsgruppe der Stadtverordnetenversammlung, die die Fakten checkt und bewertet. In dieser Arbeitsgruppe sollten sich die Investoren vorstellen, sie sollten ihren Geschäftspläne erläutern und vor allem ihre Solvenz nachweisen. Diese Arbeitsgruppe hat fünf Mal getagt. Und was ist passiert? Es ist genau das passiert, was immer passiert: Der Bürgermeister stellt sich vor sein schwindendes Publikum und zaubert ein zerzaustes Kaninchen nach dem anderen aus dem Hut, das sich – schwups – in eine Seifenblase verwandelt und dann platzt. Der gleiche Trick, wie beim sanft entschlafenen Einkaufszentrum Marktplatz Ost. Mal sind die Investoren krank, mal haben sie die Einladung nicht bekommen, mal haben sie andere wichtige Geschäfte. So ist Sitzung um Sitzung verstrichen.

Vier Leute haben sich dann doch vorgestellt, wirkliche Papiere hat niemand vorgelegt. Wie ernsthaft die Absichten sind, ist schwer zu beurteilen, wie sicher die Geschäftsgrundlage bei manchem ist, eher fraglich. Und niemand von denen wollte eine wirklich große Fläche im Kasernengelände, es handelt sich um sehr überschaubare Teilstücke. Die beste Nummer hat der groß angekündigte Landmaschinenhändler gebracht, der lt. Wirtschaftlichkeitsberechnung mit über 1 Mio. € das größte Teilstück im technischen Bereich kaufen wollte. Der ist erst gar nicht erschienen, hat aber sein Angebot von 13 € pro qm auf 3 € gesenkt. Das ist das Kaliber der Investoren, die an Wagners Resterampe Schlange stehen, um auf Kosten der städtischen Finanzen ein Schnäppchen zu machen. Da ist kein langfristiger Geschäftsplan zu erkennen, da will niemand produzieren, da will niemand wirklich Arbeitsplätze schaffen. Und wer hatte nicht alles ernsthaftes Interesse, wenn man dem Bürgermeister glauben will: Die einen wollten Solarmodule zusammenbauen, die nächsten Kessel schmieden - nichts als geplatzte Seifenblasen, falsche Ankündigungen und leere Versprechen.

Meine Damen und Herren, eine Erkenntnis hat sich nach den fünf Sitzungen bei unserer Fraktion verfestigt: Hände weg von diesem Gelände. Hier liegen Risiken, die niemand einschätzen kann. Nicht der Kaufpreis ist das Problem bei dieser Maßnahme, den hat die BImA schon so gestaltet, dass er attraktiv genug ist, um den Gammel loszuwerden. Die Folgekosten werden Homberg in die Knie zwingen. Allein die Kosten für eine Sanierung des Kanalnetzes werden sich auf grob geschätzt 2 Mio. € belaufen. Weitere Millionen gehen ggf. in den Abriss von Gebäuden oder die Sanierung von Altlasten wie z.B. Asbestdächern. Und dann steht niemand bereit, der das Gelände kauft, außer einigen Interessenten an Schnäppchen im technischen Bereich mit seinen noch nutzbaren Hallen.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN sagen ganz klar: Wir dürfen die ehemaligen Kasernenflächen nicht kaufen, weder ganz, noch scheibchenweise, noch schrittweise. Denn auch wenn wir nur ein Grundstück innerhalb der Fläche kaufen: wir müssten es erschließen mit öffentlicher Infrastruktur, Wegen, Wasser, Abwasser. 2 Mio. Ausgaben bei marginalen Einnahmen.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN sagen ganz klar: Die Verantwortung für dieses Gebiet hat der Bund und das muss auch so bleiben. Die Bundesanstalt für Immoblienaufgaben hat die Aufgabe, diese Immobilie zu verwerten, oder das Gelände in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Die BImA hat die Aufgabe, die maroden Kanäle der Bundeswehr in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen – nicht die Stadt Homberg, nicht die Homberger Bürgerinnen und Bürger mit ihren Gebühren. Deshalb müssen wir als Stadt bei einer Bebauungsplanung für das Kasernengelände auch darauf achten, dass auf dem Gesamtgelände keinen neuen öffentlichen Flächen und Kanäle entstehen, die die Stadt übernehmen muss. Es ist Aufgabe der BImA auf dem Gesamtgelände z.B. einen Gewerbepark einzurichten und eine Erschließung der einzelnen Gewerke sicherzustellen. Homberg kann dies finanziell nicht leisten.

Wagner hat zur Finanzierung seiner Fehlplanungen die Vorstellung, rings um das Gelände Solarparks errichten zu lassen und die Flächen hierfür zu verpachten. Die Pachteinnahmen sollen dann zur Refinanzierung der Folgekosten genutzt werden. Über den ersten Schritt hierzu sollen wir heute beschließen.

Meine Damen und Herren,
Photovoltaik Freiflächenanlagen sind hoch umstritten, da hier viel Freiland und Naturflächen verlorengehen. Erlaubt sind solche Anlagen allenfalls auf Konversionsflächen und belasteten Flächen entlang von Verkehrswegen. Vor einem Kauf der Fläche muss deren Status also rechtssicher geklärt sein. Dies ist derzeit nicht der Fall. Auf der Grundlage der Informationen der Clearingstelle ist es unwahrscheinlich, dass die ehemalige Bahnfläche als Verkehrsweg anerkannt wird. Die Bahnstrecke ist seit Jahrzehnten stillgelegt, die 110-Meter-Zone gilt damit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als belastet. In einem Hinweis der Clearingstelle vom 28. Februar steht völlig klar: „Nach Entwidmung bzw. endgültiger Nutzungsaufgabe des jeweiligen Verkehrsweges liegt keine „Autobahn“ bzw. kein „Schienenweg“ im Sinne der Regelung mehr vor“. Und ob die Fläche als Konversionsfläche gelten kann ist ebenfalls ungeklärt. Hier bleibt also ein weiteres unwägbares Risiko bestehen.

Für Bündnis 90/DIE GRÜNEN gäbe es allenfalls eine Rechtfertigung für eine PV-Anlage auf dieser Fläche: Hier entsteht ein Bürgersolarpark, an dem sich Homberger Bürgerinnen und Bürger beteiligen können, bei dem die Rendite nicht an anonyme Investoren fließt, sondern in der Region verbleibt. Der derzeitig vorgesehene Investor steht nicht für den Bürgersolarpark, er hat in der Arbeitsgruppe ganz klar erklärt, er baue den Park als Projektentwickler für einen Investor, den er nicht nennen werde. Das ist eine klare Aussage und es entspricht nicht unseren Vorstellungen.

Bürgermeister Wagner hat sich am Dienstag im Hafi hingestellt und lauthals gefordert, dann bringen sie mir doch bis nächste Woche die Bürgerinnen und Bürger, die 6 Mio. investieren möchten. Brauchen wir gar nicht. Es gibt Entwickler von Bürgerbeteiligungsmodellen, die die Anlage errichten und dann Zug um Zug an die einzelnen Bürger oder an die Bürgergenossenschaft verkaufen würden. Es geht also. Und auch wenn es geringere Pachteinnahmen für die Stadt bringen würde: dies ist das einzige Modell, dass auf einer öffentlichen Fläche zu rechtfertigen wäre. Denn wir als Stadt haben die Aufgabe, Politik für unsere Bürgerinnen und Bürger zu machen und nicht für anonyme Investoren.

Und wenn überhaupt, dann wollen wir keinen Solarpark mit Pultanlagen, wie sie der Projektentwickler vorgesehen und unterhalb des ehemaligen Dickhautlagers bereits aufgestellt hat. Wir wollen Solarbäume, die sich nach der Sonne ausrichten. Diese Anlagen sind teurer, bringen aber auch 45% mehr Ertrag und sind daher wesentlich ökologischer als die starren PV-Pulte. Außerdem wäre dann auch gewährleistet, dass die Fläche weiterhin als Weideland für Schafe und Ziegen zur Verfügung steht, da sie an diesen Anlagen keine Schäden verursachen können. Denn eines ist auch klar: Wir dürfen nicht die Existenz eines bestehenden Schäfereibetriebs und seine Arbeitsplätze gefährden, um fragliche Investments zu sichern.

Und noch etwas meine Damen und Herren: sollten wir die Fläche entlang der Bahnlinie tatsächlich kaufen, muss klipp und klar im Beschluss stehen, dass wir damit keine weiteren Verpflichtungen gegenüber der BImA eingehen und weder eine Absichtserklärung, einen Letter of Intent oder was auch immer zum Kauf oder zur Übernahme weiterer Flächen abgeben. Der Bürgermeister hat gesagt, dies könnte die BImA so verstehen, als wollten wir nur Rosinen picken. Ja, meine Damen und Herren, wenn es in diesem Musli aus ranzigen Haferflocken tatsächlich ein paar Rosinen gibt, dann wollen wir allenfalls diese Rosinen. Die Haferflocken soll die BImA selbst entsorgen, sie hat sie auch selbst vergammeln lassen.

Klaus Bölling, Fraktionsvorsitzender


Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum geplanten Ankauf des Kasernengeländes (pdf-Dokument)