Ein Wattenstrom sucht seinen Weg
Die
dramatische Veränderung der nordfriesischen Uthlande seit dem Durchbruch der Nordsee
durch die Kette der Dünen, die als schützende Nehrung der Küste vorgelagert
war - die Reste sind heute in Form der Außensände erkennbar - ist vor allem
durch die großen wattenströme oder Seegatten bedingt, die für den
Wasserzustrom und -abfluss sorgen. Für das südliche nordfriesische Wattenmeer,
die Region der Inseln Nordstrand und Pellworm, ist dies das Seegatt Hever, das
zwischen den vor der Halbinsel Eiderstedt gelagerten Sänden und dem
Süderoogsand in die offene See mündet und sich zur Küste hin in die
Norderhever zwischen Pellworm und Nordstrand und den Heverstrom zwischen
Nordstrand und Eiderstedt aufteilt.
Ursprung der Hever ist der alte Heverfluss, der einst die große Insel Strand
und die Dreilande Eiderstedt durchfloss und dessen Verlauf anhand alter
Deichlinien teilweise noch nachvollziehbar ist. Dies funktioniert allerdings nur
auf der Halbinsel Eiderstedt, der Verlauf der Hever im Bereich der
untergegangenen Insel Strand ist in der Landschaft nicht mehr rekonstruierbar.
Im Bereich Eiderstedts verlief der Fluss zwischen Osterhever und Westerhever,
weiter zwischen Tating und Garding und mündete schließlich in die Eider. Im
nördlichen Bereich ist zu vermuten, dass die alte Hever die Edomsharde zwischen
dem heutigen Pellworm und Nordstrand durchquerte. Die alte Hever kam aus
Richtung Norden auf den Bereich der heutigen Hallig Südfall zu, floss westlich
an Südfall vorbei auf Eiderstedt zu und durchquerte Eiderstedt. Eiderstedt
bestand zu dieser Zeit aus den Dreilanden Utholm, Everschop und Eiderstedt, die
Hever floss zwischen Utholm und Everschop. Im 12. und 13. Jahrhundert
wuchsen Utholm und Everschop durch neue Köge im Bett der alten Hever zusammen
- der Fluss muss zu dieser Zeit einen anderen Verlauf genommen haben.
Die hängt zusammen mit dem Durchbruch der Nordsee durch die vorgelagerte
Dünenkette. Einen dieser Einbrüche bildete das Falltief. Der Einbruch des
Falltiefs ist im Bereich der Tümlauer Bucht noch heute gut sichtbar. Es brach
durch bis zur alten Hever und folgte dem Flussbett Richtung Südfall. Später
brach im Bereich des Süderoogsands der Heverstrom durch die Dünenkette und
arbeitete sich ebenfalls in Richtung alte Hever vor. Heverstrom und Fallstief
trafen zusammen - genau in diesem Bereich wird der Handelshafen Rungholt
lokalisiert. Aufgrund des Einbruchs der Seegatten Heverstrom und Fallstief durch
die Sturmfluten des 12. und 13. Jahrhunderts war Rungholt von See auf leicht zu
erreichen - und gleichzeitig hoch gefährdet. Zu dieser Zeit vor 1362 mündet
die alte Hever an der Rungholt-Schleuse in den Heverstrom. Heute dürfte dies in
etwa die Region des Dwarslochs sein.
Bei der Flut 1362 bricht das Fallstief dann in die Insel Strand ein und
zerstört die Edomsharde zwischen Pellworm und Nordstrand. Der Wattenstrom folgt
dabei dem Verlauf der unter den aufgelandeten Sedimenten liegenden
Altmoränentälern. Heverstrom und Fallstief bilden einen gemeinsamen Abfluss
zum Meer hin - im Bereich der Tümlauer Bucht versandet die alte Mündung des
Fallstief, daher können dort wieder Flächen eingedeicht werden. Die Stromrinne
des Fallstief grub sich allerdings schnell zwischen der Pellwormharde und
Südfall in den Grund und war 300 - 400 Meter breit.
Die Flut 1632 führt zum Durchbruch des Fallstief durch die Insel
Alt-Nordstrand - Pellworm und Nordstrand entstehen. Pellworm kann relativ
schnell teilweise wiederbedeicht werden, Nordstrand bleibt lange ohne Deiche,
hier tut der Heverstrom seinen Anteil, der sich im Bett der alten Husumer Au
ostwärts vorgegraben hat. So wird Husum Hafenstadt. Heverstrom und Fallstief
bilden immer mehr eine Einheit, das Fallstief erhält den Namen Norderhever.
Im Grunde blieb die Situation der Wattenströme seit dieser Zeit gleich. Die
durch die Wattenströme zweimal täglich ein- und ausfließenden Wassermassen
transportieren große Bodenmengen mit sich, die sich auf höheren
Vorlandflächen ablagern und teilweise auch wieder von Sturmfluten
abtransportiert werden - so entstehen und vergehen die Halligen. Die
Landflächen werden dabei von der Norderhever hauptsächlich in nordwestlicher Richtung
verlagert, ein Prozess der erst durch die seit 1880 erfolgte Befestigung der
Inseln und Halligen gestoppt werden konnte.
Auch heute bestimmt die Norderhever die Zukunft des Wattenmeers. Durch die in
ihrem Einflussbereich zu und abfließenden Wassermassen hat sich Bett immer
tiefer in den Sockel der Insel Pellworm gegraben. Zu Lösung dieses Problems
wurden schon früh Maßnahmen geplant, z. B. die Verbindung von Halligen und
Inseln mit Dämmen ans Festland. Dies wurde mit den Dämmen nach Sylt, der
Verbindung der Halligen Langeneß und Oland, der Damm zur Hallig Nordstrandischmoor
und dem Damm zur Insel Nordstrand teilweise umgesetzt. Geplant war aber z. B.
auch ein Damm nach Pellworm.
Andere Pläne sollten große Flächen des Wattenmeers mit Deichen landfest
machen. Bald trat der Widerspruch zwischen Küstenschutz und Naturschutz offen
zu Tage - ausgefochten z. B. beim Streit um die Vordeichung der Nordstrander
Bucht. Dieser Plan sollte nicht nur die Deichlinie verkürzen, sondern auch das
Einzugsgebiet der Norderhever und damit ihre Strömungskräfte verringern.
Vorgesehen war weiterhin der Verbindungsdamm nach Pellworm. Die schließlich
verwirklichte Lösung ist ein Kompromiss zwischen Küstenschutz und Schutz der
einzigartigen Landschaft des Wattenmeers.
Quelle: Hans-Herbert Henningsen, Rungholt
- der Weg in die Katastrophe, Band 1 Husum 1998, Band 2 Husum 2000
Marcus Petersen, Der Heverstrom, Bräist/Bredstedt, 1979