Eine verlorene Zeit - ein vergessener Garten

Park Mankovichi | Stolin, Belarus

Ob man diesen Park überhaupt betreten soll? Links vom Tor an der Sovetskaya, der Stoliner Hauptstraße, die weiter nach David-Horodok führt, steht martialisch ein Geschütz aus dem 2. Weltkrieg. Ein Denkmal, das an die Befreiung Stolins von den deutschen Okkupatoren am 9. Juli 1944 erinnert. Der Krieg hat tiefe Spuren hinterlassen, nicht nur in der Stadt Stolin. Der Kampf gegen die Besatzer, die Befreiung durch die Rote Armee und vor allem der Partisanenkampf sind feste Bestandteile des belarussischen Nationalmythos. Ein Stück weiter die Straße hinauf geht es gleich hinter dem Dorf Mankovichi links ab in den Wald zur Gedenkstätte Stasino. Hier wurden am 11. September 1942 die Stoliner Juden ermordet. Eine tiefe Wunde, ein Massengrab mitten im Wald.

Wir verlassen die Hauptstraße der Geschichte und gehen rechts neben der Kanone durch das Tor in den Park „Mankovichi“. Eine alte Allee führt in den Park, gepflastert mit Trylinka, einem legendären, sechseckigen Betonpflastertyp, den der polnische Ingenieur Wladyslaw Trylinski um 1935 erfunden hat. Das Pflaster war sehr widerstandsfähig, hat die Panzer des Weltkriegs getragen und ist an einigen Stellen noch heute zu sehen. Nicht nur hier im abgelegenen Park, sondern auch noch auf der Sovetskaya und einem Teil der Zugangsstraße aus Pinsk. Es sind Spuren einer verlorenen Zeit, die hier in diesen vergessenen Park hineinführen.


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Stadt und Straße bleiben hinter Tor, Mauer und Zaun zurück, die mehr-stöckigen, modernen Wohnbauten aus unverputztem Ziegelstein aus einer ersten Phase des Wachstums und der Modernisierung der kleinen Stadt Stolin in den polesischen Sümpfen im belarussischen Bezirk Brest. Zum Teil sind die Häuser in den letzten Jahren renoviert worden. Die kleine Stadt wird schöner. Am Zaun entlang trottet eine Kuh auf dem Bürgersteig, sie ist auf dem Heimweg von der Weide. Trotz Modernität ist die eigene Kuh wichtig für die Versorgung der Familie.

Der Park ist ein nationales Denkmal, schon Ende 1963 wurde er entsprechend eingestuft. Eine Bedeutung, die sich dem Besucher nicht auf den ersten Blick erschließt. Alte Bäume stehen hier, teilweise seltene Exemplare, versteckt und unbeachtet in diesem wilden Park, den mit den Kriegen die Gärtner verlassen haben. Ein schmaler Wald auf dem hohen Ufer über dem kleinen Flussarm Kopanets, der ein wenig weiter oberhalb in den Goryn mündet. Durch die efeu-umwucherten Bäume geht der Blick hinab zum Wasser, eine flache, breite Stelle im Fluss, die Kühe stehen bis zum Bauch im Wasser und genießen es. Dahinter erstreckt sich die flache, wasserreiche Landschaft bis zur nahen ukrainischen Grenze und dem bedeutenden Naturreservat der Olmanysümpfe. Ein toller Platz für einen Landschaftspark mit interessanten Blickachsen aus der gestalteten Natur in die freie Landschaft. Nur wenig ist von der Gestaltung des Parks geblieben, vergessene Spuren, die man finden und wieder sichtbar machen müsste. Es ist wirklich ein verlorener Garten, der Park Mankovichi.

Verloren ist auch sein Zentrum, das Ziel der gepflasterten Allee. Der Park war wirklich bedeutend, gehörte zu den herausragenden Beispielen der Landschaftsarchitektur Ende des 19. Jahrhunderts in dieser Region. Er wurde 1885 auf einer Fläche von 50 ha angelegt - heute ist nur noch etwa die Hälfte der Fläche übrig. Ein Garten im englischen Stil mit seltenen Bäumen und Büschen auf dem hochgelegenen Uferplateau über der Ebene, in der sich der Fluss Goryn seine wechselnden Flussbetten gesucht hat. Der kleine Fluss Kopanets direkt unterhalb ist ein Altarm des Goryn. Die Bäume sind da, das Plateau ist da, die Flüsse sind da. Was fehlt ist das Zentrum des Parks, der Sommersitz der Familie Radziwiłł, denen das Anwesen gehörte. Ein altes litauisch-weißrussisches Adelsgeschlecht mit Verbindungen nach Polen und Preußen. Seit Alters her besitzen die Radziwiłłs weite Land- und Waldflächen in der Region David-Horodok, zu der auch Mankovichi gehört. Marie von Radziwiłł ist es, die den Park anlegen lässt.

Radziwiłł Residenz im Mankovichi-Park

Vier Fotobearbeitungen lassen die verschwundene Residenz erscheinen

Fotos der Radziwiłł-Residenz im Mankovichi-Park, wahrscheinlich aus den 30er Jahren.

Quelle (u.a.): http://www.kresy.pl/kresopedia,architektura,palace?zobacz/mankiewicz

Marie Dorothea Fürstin von Radziwiłł (* 19. Februar 1840 in Paris; † 10. Juli 1915 in Kleinitz/Schlesien) ist eine in Paris geborene Comtesse de Castellane. 1857 heiratet sie Anton von Radziwiłł, einem preußischen Offizier, der später Generaladjutant von Kaiser Wilhelm wird. Das Berliner Stadtpalais der Familie Radziwiłł liegt in der Wilhelmstraße. Dort führt Marie von Radziwiłł einen politischen Salon mit Gästen des Adels und der höchsten politischen Funktionsklasse, konservativ-katholisch geprägt, das gesellschaftliche Zentrum der Gegner Bismarcks. Europa war, bevor der Osten nach dem Krieg hinter dem eisernen Vorhang verschwand, anders geprägt. Die einflussreiche Berliner Salonnière verbrachte den Sommer in der kleinen jüdischen Stadt Stolin – bzw. im Anwesen der Familie außerhalb der Stadt. Der Familie gehört das erste Auto in der Stadt, sie lässt Straßen pflastern, um besser zur westlich von Stolin gelegenen Bahnstation zu kommen. Lebenswelten, die sich wahrscheinlich nur selten berührten: Die Gesellschaft des polnisch-litauischen Adels, die ländliches Welt der belarussisch sprechenden Menschen in den Dörfern, die Welt der jüdischen Bevölkerungsmehrheit in der Stadt.

1910 wird die Sommerresidenz vom Berliner Architekten Wenzel im neo-barocken Stil erbaut. Das einstöckige Gebäude mit dem hohen Mansardendach entsteht auf einem quadratischen Grundriss und erinnert mit seinem Turm an die alte Residenz der Familie in Nesvizh (Minsker Region). Der zentrale Riegel des Bauwerks geht nach Süden, aus den Zimmern und von einem Balkon blickt man vom hochgelegenen Ufer auf den Kopanets und in die Ebene des Goryn.

Vier Aquarelle - die verschwundene Residenz im verlorenen Park

Dann ändern sich die Zeiten. Nach der Revolution kommen im November 1917 Truppen der Roten Armee, dann besetzt die deutsche Wehrmacht die Region. Die Zerstörungen im Krieg sind groß, Möbel, Kunstwerke und Bibliothek verbrennen. 1922 wird die Residenz rekonstruiert. Nach dem Krieg wird die Brester Region polnisch. 1939 kommen Stalin und die Rote Armee, 1941 die Wehrmacht und die Nazis mit Verderben und Vernichtung. Keine Zeit für Parks und Sommerresidenzen. Das Anwesen im Park wird deutsche Kommandantur. Das Haus wird im 2. Weltkrieg zerstört und in den 50er Jahren vollständig abgetragen. Die Menschen brauchten Baumaterial und hatten andere Sorgen. Noch bis in die 50er Jahre gab es in der Region Kämpfe mit nationalistischen ukrainischen Banden, die aus der nationalistischen Partisanenbewegung übriggeblieben waren und für eine Großukraine kämpften.

mankovichi park

im wilden park stehe ich wieder
nach jahresfrist wechsle mit den krähen
paar worte trete dicht an den hang
unten spiegelt der fluss noch immer
den wolkenzug wie wir ihn sahen

Im Park erinnert heute ein Gedenkstein an Marie von Radziwiłł, ihr Sohn Stanislav hat ihn errichtet. Sonst erinnert wenig an diese Zeit. Es gibt ein kleines Museum im Park, das die Geschichte der Stadt und der Region erzählt und in dem es ein Modell der Residenz zu sehen gibt. Gleich neben dem Museum ist
die Musikschule. Kleine, schmucklose Bauten, keine Spur vom einstigen Adelsprunk.

Ein paar Spuren findet man am anderen Ende des Parks. Dort beginnt das Dorf Mankovichi. Es gibt Reste des einstigen Gutes der Radziwiłłs. Reste des Reitstalls sind an der Fassade zu erkennen. Heute ist es ein Wohnhaus. Und gleich neben dem Park ist die Wodkadestillerie, die auch auf die Radziwiłłs zurückgeht. Auch hier gibt es noch ein paar alte Gebäudeteile. Der Park ist hier zu Ende, ein paar Hühner laufen über die Gasse, haben ihre Kuhlen unter den Büschen am Zaun. Den Hang hinab geht es zum Fluss, ein kleiner Badestrand mit Steg und Bänken – und Mücken.

Die Destillerie gehört heute zu einer Kolchose. "Distilled beverages and meat production" sind laut Website deren Portfolio. Alkohol und Fleisch – belarussische Grundnahrungsmittel, Teil der belarussischen Misere. Denn hier am Ufer zu sitzen und mit den Produkten der oberhalb gelegenen Destillerie auf die Landschaft, die Freundschaft, mit dem dritten Glas auf die Liebe und danach viele weitere Dinge anzustoßen, ist allenfalls an Ausnahmetagen akzeptabel. Den Tagen, an denen man sich vorstellen möchte, wie er gewesen sein mag, der Landschaftspark rund um den Sommersitz einer Berliner Salon-Adeligen. Dann krächzen ein paar Krähen, drehen noch eine Runde um den Schornstein der Wodkafabrik und segeln zurück zu den Nestern in den hohen Pappeln an der Allee im verlorenen Park Mankovichi .


the lost gardens | park mankovichi


Ein Parkspaziergang in Bildern


Quellen:

http://region.brest-belarus.org/stolin/stol.htm
http://stolin.ucoz.ru
http://stolin.brest-region.by/index.php?option=com_content&view=article&id=10233&Itemid=655&lang=ru
http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_von_Radziwill 
http://www.mankowichi.by/index/en/
http://romanmirowski.com/26-na-kresach-mankiewicze-palac/


die raben im mankovichi park 

die raben im mankovichi park

gedichte, aquarelle und ein verlorener garten in belarus

Hier ist Stolin in Belarus, nicht Russland. Hier ist Europa. Hier ist einer der Lieblingsplätze: Mankovichi-Park , ein verlorener, großartiger Garten.

Ein buntes Gartenbuch über den Mankovichi-Park in Stolin mit Bildern und Gedichten, Infos und Fotos

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Ein Buch mit Gedichten und Aquarellen, ein Buch über Parks und Gärten, ein Buch über die imaginären Gärten im Kopf und die angemessene Zeit.

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