Der Holocaust in Stolin | Ein Augenzeugenbericht
Zu Beginn des Krieges waren zusammen mit den Flüchtlingen aus Polen
mehr als 12.000 Juden in der Stadt versammelt. Die Deutschen
organisierten einen Judenrat, an dessen Spitze sie Berger, einen Juden
aus Warschau, setzten. Es wurde angeordnet, dass die Bevölkerung des
Ghettos jeden Monat eine Abgabe von 10 Rubel pro Person zahlen musste.
Dem Geld wurde eine Urkunde beigefügt, die die Zahl der jüdischen
Bevölkerung im Ghetto am Ende des Monats dokumentierte. Unter Androhung
körperlicher Gewalt wurden die Juden gezwungen, Gold und Wertgegenstände
im Tresor des Gebietskommissars abzugeben.
Die Grenzen des Ghettos verliefen vom Fluss entlang der Polesskaya
und Kostyushko Straße, des Marktplatzes (Rynochnaya Ploshchad') und der Uniy Lyublinskaya Straße
westwärts zum Fluss. Durch das Zentrum lief die Naberezhnaya Straße. Das Leben der Juden war quälend. Menschen starben
an Hunger, Krankheiten und Kälte. Es kamen kaum Lebensmittel an. Hilfe
kam nur durch diejenigen hinein - und dann auch nur das, was in den
Taschen versteckt werden konnte - die mit den Arbeitskolonnen
herauskamen. Im Keller eines Hauses wurde ein Kuh gehalten. Sie wurde
von Hand gefüttert und gab nur sehr wenig Milch. Die Milch wurde an den
alten Rabbi Perlov übergeben. Später wurde der Rabbi hingerichtet. Am
10. September 1942 wurden Berger, der Vorsitzende des Jundenrats und
seine Mitglieder vom Gebietskommissar vorgeladen und hingerichtet. Die
Menschen im Ghetto erkannten, dass sie zum Tode verurteilt waren.
Das Versöhnungsfest Jom Kippur fiel in diesem Jahr auf den 11.
September (Anmerkung: es war nicht Jom Kippur, sondern das jüdische
Neujahrsfest Rosh Hashanah). In Gruppen von 1.000 Menschen wurden
die Juden zur Exekution gebracht. Insgesamt waren es 8 Gruppen. Die
Kolonnen wurden über die Naberezhnaya Straße und die Polesskaya Straße
zum Marktplatz geführt und weiter über die Pinskaya Straße zur Stadt
hinaus. Die Kolonne schwenkte nach rechts und ging durch die Felder zu
einer riesigen Baugrube (300 x 100 Meter und bis zu 10 Meter tief), die
aus der Vorkriegszeit stammte, als der Flugplatz gebaut wurde.
Sowjetische Gefangene hatten sie von Oktober 1939 bis Juli 1941 für
einen unterirdischen Hangar ausgehoben.
Die Juden gingen mit ihren Familien zum Platz der Hinrichtung,
hielten sich an den Händen oder trugen sich auf den Schultern. Es gab
Fälle, wo alte Männer das Bewusstsein verloren und auf die Straße
fielen. Die Patrouille zerrte sie zum Zaun und beendete ihr Leben mit
einem Schuss in den Hinterkopf. Die Kopfwunde wurde mit Kleidung
bedeckt. die Leichen wurden von einem Wagen aufgesammelt und in die
Baugrube gekippt. An der Exekutionsstelle mussten sich die Menschen
nackt ausziehen und ihre Sachen sortiert nach Kleidung und Schuhen
nebeneinanderlegen. Sie wurden in die Baugrube geführt und mussten sich
mit dem Gesicht nach unten einer auf den anderen legen. SS-Soldaten
liefen über die Körper und erschossen sie mit Maschinenpistolen. Zwei
Mädchen, mit denen ich eng befreundet war - Khava Turkenich aus
Terebezhov und Dora Fridman aus Stolin - wurden getötet.
Nicht
jeder war auf der Stelle tot. In der Nacht krochen die Verwundeten,
darunter auch sehr kleine Kinder, aus der Grube. Sie versteckten sich im
Wald oder auf dem katholischen Friedhof an der Straße zur Stadt, aber
wie wurden gefunden und hingerichtet. In der fünften Kolonne in der
Folge waren viele junge Menschen. Als sie kurz vor Sonnenuntergang
abgeführt wurden, ergriffen viele die Flucht und liefen in verschiedene
Richtungen. Sie mussten eine Strecke von 2 km in Richtung urochishche (boundary)
Zatish'ye überwinden. Es wurde auf sie geschossen. Viele blieben im
Feld, aber einige konnten sich verstecken. Als die Deutschen die Leichen
einsammelten, fanden sie einen toten SS-Mann.
Unter den Überlebenden war Dr. Roter, ein Flüchtling, den die
Deutschen zum Chefarzt des Stoliner Krankenhauses ernannten. Während der
Massenhinrichtung rührten sie weder Dr. Roter noch seinen Sohn an. Vor
der Ankunft der Roten Armee nahmen Partisanen den Arzt mit in den Wald,
konnten den Sohn aber nicht mit sich nehmen und die Deutschen ermordeten
ihn.
In Stolin erinnert heute nichts mehr an die Tatsache, dass bis zu
zwei Drittel der Bevölkerung Juden waren. An der Stelle der
Massenhinrichtung wachsen riesige, bis zu 30 Meter hohe Kiefern. Einmal
lagen menschliche Schädel und Knochen herum. Plünderer suchen nach Gold,
das die Juden mit ins Grab genommen haben. Jetzt steht ein Denkmal an
der Stelle. Der Holocaust darf sich nicht wiederholen. Nur die Achtung
vor den Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion, wird
es möglich machen, weiterhin in dieser Welt zu leben. Möge Gott Sie
segnen.
Stasino | Massengrab und Gedenkstätte
Der reale Weg nach Stasino ist schwer zu finden - gegen das Vergessen
steht aber das kollektive Gedächtnis des Internets. Zwei der wichtigsten
Quellen sind Zeugenberichte.
-
Michael Nosanchuk berichtet von der Verfolgung
der Juden in der Region Stolin. Er stammt aus dem Dorf Rubel. Die
jüdische Bevölkerung des Dorfs wurde bei einem Pogrom am 17. August
1941 von einheimischen ermordet. Überlebende, Frauen und Kinder
kamen in das Ghetto nach Stolin. Nosanchuk konnte sich verstecken,
entkam auch aus dem Stoliner Ghetto und überlebte den Holocaust. In
einem Brief an den Bruder in Kanada und einem ausführlichen Bericht
erzählt er über seine schrecklichen Erlebnisse.
A Memoir of Michael Nosanchuk
Gruesome Ghetto
Slaughters in Rubel, David-Horodok and Stolin
described in a letter to
Windsor
-
Katharina von Kellenbach ist die Nichte eines
SS-Offiziers, der für die Ermordung der Juden von Pinsk
verantwortlich ist. In einem sehr persönlichen Bericht erzählt die
Professorin für religiöse Studien am St. Mary's College of Maryland
von ihrer 'Pilgerreise' nach Belarus und dem Besuch des Massengrabs
bei Stasino.
A
Pilgrimage to Belarus
Joshua S. Perlman und Adina Lipsitz haben eine
großartige Website erstellt, die die Erinnerung an Stolin vor der
Shoah lebendig macht. Es gibt viele Fotos und Augenzeugenberichte.
Eine Seite gegen das Vergessen, eine Seite, die zeigt, warum das
Internet wichtig und wertvoll ist.
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