Teil 2

Northwest Highlands – karge Berge, großartige Küsten, vertriebene Menschen

Blair Atholl, das war erst der Beginn der Highlands, die sich weiter in den Norden erstrecken. Die A 9 zieht sich das Tal hinauf durch die Berge in Richtung Inverness im Great Glen.

Das Great Glen ist eine über 400 Mio Jahre alte tektonische Verwerfung, die quer durch Schottland verläuft. Teil des Great Glen ist Loch Ness. Der Caledonian Canal verbindet die Seen und Flüsse im Great Glen und ermöglicht die Schiffsverbindung zwischen Moray Firth bei Inverness (Nordsee) und Loch Linnhe mit dem Firth of Lorn (Atlantik). Inverness ist die Hauptstadt der Highlands.

Das Great Glen trennt die Grampain Mountains von den Northwest Highlands, der spektakulärsten Region Schottlands. Von der A 9 geht es ab in Richtung Nordwest, hinein in die Highlands mit schroffen Bergen und kargen Tälern. Heraus aus der Zivilisation, der Hektik, hinein in die Einsamkeit und Wildnis - das ist das Versprechen, der Mythos der Highlands. Auf der Strecke zwischen Inverness und Ullapool wird er wahr. Hier ist wenig mehr als Landschaft mit Bergen, Seen und grauen Wolken, die die Gipfel verhüllen. Aber trotzdem – Loch Glascarnoch und Loch Droma, zwei Seen auf der Strecke, sind Stauseen und dienen der Stromerzeugung. Weit ist die Zivilisation also nicht.

Aus den Bergen hinunter zum Loch Broom, einem Meeresarm der ins zerklüftete Land hinein reicht: Hier wird die Landschaft wieder freundlicher, grüner mit kleinen Häuschen entlang der Hänge am Ufer von Loch Broom. Am Horizont die weiße Reihe der Häuser von Ullapool, einem Zentrum der Region. Einem Zentrum mit nur 1.400 Einwohnern. Die Highlands sind sehr dünn besiedelt.


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Es ist ein netter kleiner Ort, der dort recht malerisch an Loch Broom liegt. Vor dem Hotel ragen tatsächlich Palmen in den jetzt endlich blauen Himmel und unterstreichen, dass hier der Golfstrom für feuchtes, aber eben auch mildes Klima sorgt. Ullapool ist ein Fischerhafen mit kleinen Trawlern, die am Kai liegen. Bei Ebbe lassen die Fischer ihre Schiffe an der Hafenmauer trocken fallen und verpassen ihnen einen neuen Anstrich. Auf der Kaimauer liegen blaue und türkise Netze zum Trocken, dazwischen grell orange Markierungsbälle, die Sonne scheint und die fetten Hafenmöwen hocken gierig vor den Touristen, die die Wärme und Fish & Chips genießen. Ein buntes Farbspektakel nach den wolkengrauen Bergen. Hafenidylle mit rostigem Anker und der Fähre, die von den Äußeren Hebriden kommt und hier anlegt.

Gegründet wurde der Hafen 1788 für die Heringsfischerei. In den 1970er Jahren blieb der Hering dann aus, anschließend wurden Makrelen gefischt. In Loch Broom ankerten unzählige Schiffe aus dem damals noch abgeriegelten Ostblock. Aber auch die Makrelen sind inzwischen kein lohnender Fang mehr. Heute gehen die Fischer auf Garnelen und Hummerfang und die großen Fangflotten bleiben fern. Den Fisch gibt es in der Lachszucht in der Bucht bei Ardmair Point vor der Isle Martin. Von Ullapoll kann man mit dem Boot dorthin fahren und mit Glück ein paar Delphine in der Bucht entdecken.


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Die Küste der Northwest Highlands ist sehr zerklüftet. Überall kleine Felsen und Inseln, weit draußen dann Lewis und Harris - die Äußeren Hebriden, die Inseln des Tweed-Wollstoffes. Wolle und Schafe, sie bestimmen diesen Landstrich. Oberhalb von Ullapool liegt die Halbinsel Coigach im North West Highlands Geopark. Auf die Halbinsel führt eine Single track road. Hier muss man halt vorausschauend fahren und rechtzeitig in eine der vielen Ausweichbuchten einbiegen. Viele Autos sind nicht unterwegs und die Fahrweise fördert die Freundlichkeit der Autofahrer untereinander: Es wird gegrüßt. Die schmale Straße führt in die Einsamkeit, schwer vorstellbar, dass es hier Siedlungen gibt. Aber natürlich gibt es sie, wie z.B. den Ort mit dem schönen Namen Achiltibuie. Aber was machen die Menschen, die hier leben?


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Die Form der Berge wurde von Gletschern in die Landschaft gefräst. Nur die Spitzen einiger Erhebungen ragten aus dem Eis. Als das Eis wieder weg war, blieben markante Bergrücken wie der 612m hohe Stac Pollaidh, an dem der Weg vorbei führt. Oder der sanft gerundete Suilven etwas weiter nördlich. Die Berge sind nicht hoch, aber schroff und eindrucksvoll. Dazwischen moorig feuchtes Land und viele kleine Seen. Über die Straße wandern Schafe, ein Stück weiter leuchtet der Sandstrand in der Bucht von Achnahaird. Dann tauchen auch bald die Summer Isles vor der Küste auf, nur schemenhaft erkennbar durch den feinen Nebel des einsetzenden Regens.

summer isles

die berge tragen flatcaps aus harris tweed wolken
und die möwen taumeln im heftigen wind
zwischen den inseln treiben regenschwaden
am ende vom land liegen zerschlagene boote
dann nur noch die tiefdruckgebiete der hebriden
ich zieh die kappe tiefer ins gesicht atme tief ein
der wind riecht herb und weit

aus: Klaus Bölling, heidetorf [violett]

Mit dem Sommer haben die Inseln wenig zu tun, sie dienten als Winterquartier für das Vieh. Der Name ist alt, erinnert an die nordische Vergangenheit dieses Landstrichs. Simmer Skit ist der alte Name, Grenzinseln. Sie bildeten die Grenze zu den Hebriden, die zeitweise (bis 1266) zu Norwegen gehörten. In der Bucht ankern kleine Boote, auf der Kaimauer sind Hummerkörbe gestapelt. Und im Dunst reihen sich in abgestuftem Grau die Inselsilhouetten.

Das Sträßchen kurvt um ein paar weitere Buchten, dann kommt der langezogene Strand der Badentarbet Bay bei Achiltibuie. Zerschlagene Boote und rostige Anker liegen pittoresk im Sand. Auch dies ein Traumort dieser Erde, abgelegen, unvergesslich, unwirklich.

Für den abgelegenen Ort Achiltibuie, einer kleinen Siedlung mit wenigen Häusern, weist die britische Wikipedia als Besonderheiten das Hydrponicum, ein Gewächshaus mit Gemüse aus Hydrokulturen, aus. Zu den berühmten Einwohnern zählt laut Wikipedia Reiner Luyken, ein Journalist, der u.a. für die ZEIT schreibt. Es ist nicht wirklich weit vom Ende der Welt in die Brennpunkte des Geschehens, auch wenn man es sich hier wünschen würde.

Auf dem Weg durch den North West Highlands Geopark führt das Sträßchen nur durch wenige kleine Siedlungen oder vorbei an einzelnen Häusern. Dafür stehen am Wegrand immer wieder Schafe, die wiederkäuend dem Auto nachschauen. Schafe statt Menschen, das war das Motto der Highland Claerances, die die schottischen Highlands nachhaltig verändert haben. Die Highlands wurden gereinigt, gereinigt von Menschen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden sie weitgehend aus den Highlands vertrieben. Ursprünglich lebten hier viele kleine Crofter, Bauern, die das Land von Grundbesitzern gepachtet hatten und mehr schlecht als recht leben konnten. Am Ende des 18. Jahrhunderts änderten sich die agrarwirtschaftlichen Strukturen, für die meist in England oder den Lowlands ansässigen Grundbesitzer war es lukrativer, auf dem Land Schafe zu züchten, als es an die Kleinbauern zu verpachten. Diese wurden einfach mit zum Teil unglaublicher Brutalität vertrieben, ihre Häuser angezündet, ihre Familien deportiert. Viele wurden an die Küste vertrieben, wo sie vom Fischfang leben sollten, den sie nicht beherrschten. Andere wurden einfach auf Schiffe verladen und nach Amerika oder Australien verschifft. Viele emigrierten freiwillig z.B. nach Nova Scotia in Kanada.

Die gälischsprachige Bevölkerung wurde vertrieben, die Kultur nachhaltig vernichtet. Die Clearances waren eine ethnische Säuberung, ein Verbrechen, das vom damaligen Recht gedeckt war. Ausschlaggebend waren wirtschaftliche Gründe, aber im Hintergrund stand auch die Abneigung der aufstrebenden Lowlander und der wirtschaftlich erfolgreichen Engländer gegen die ihrer Ansicht nach rückständigen und kulturell unterlegenen Highlander. Der Mensch ist des Menschen ärgster Feind. Die heute so idyllische Einsamkeit der Highlands ist das Ergebnis einer grausamen Vertreibung der Bevölkerung. Schafe waren wertvoller als Bauern, so einfach geht Wirtschaft.


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Ein paar Menschen trifft man aber zum Glück trotzdem. So gibt es hier mitten im Nichts, abseits jeder Siedlung einen großartigen Bookshop mit Café, der hervorragend sortiert ist und zum Stöbern in den vollen Buchregalen einlädt. Achins Bookshop liegt auf dem Weg nach Lochinver mitten in der Pampa und sollte auf jeden Fall besucht werden – auch wegen der netten Menschen, die hier arbeiten. Allerdings war der Besitzer nicht erfreut über die Kreditkarte eines weltweit tätigen Buchversenders, der sich anschickt, mit einem erbarmungslosen Preiskrieg gerade die kleinen Buchläden zu vernichten. In Großbritannien gibt es keine Buchpreisbindung und deshalb immer weniger gute, kleine Buchläden. Ein weiteres Beispiel dafür, wie einfach und brutal Wirtschaft funktioniert.

Durch den kleinen Ort Lochinver geht es weiter zum Loch Assynt. Ein paar graue Baumskelette stehen malerisch im Wasser des Sees, die Straße führt am Ufer entlang und dann kommt die obligatorische, auf einer kleinen Landzunge im See stehende Burgruine. Nur ein paar Mauerreste sind von Ardvreck Castle übrig geblieben.

Kein gemütlicher Ort, aber trotzdem ist die Ruine von einem Gespenst bewohnt - wie sollte es hier in Schottland auch anders sein. Es ist der Geist eines jungen Mädchens, das nicht von dieser Ruine lassen kann. Die Burg gehörte dem Clan MacLeod und sie war die Tochter eines der MacLeod Chieftains. Der Bau der Burg war schwierig hier oben in den sumpfigen Highlands und wie so oft bei derartig großen Bauaufgaben stand der Teufel mit Rat und Tat zu Seite, um das Bauwerk schnell und erfolgreich fertigzustellen. Allerdings hatte dies den üblichen Preis: Die arme Tochter wurde ihm verpfändet. Aus Gram über diesen schändlichen Handel, stürzte sich das Mädchen vom hohen Turm in den Tod. Und kehrt seitdem immer wieder an den Ort der Schande zurück.

Gleich gegenüber steht das nächste Spukhaus. Calda Haus gehörte dem Clan MacKenzie, der die MacLeods 1672 angegriffen und sich die Region Assynt angeeignet hatte.

ardvreck castle | loch assynt

grau abgenagt knöchern tote bäume
gegen die verblassende heideblüte
ein heftiger wind hat den see aufgewühlt
der kommt nicht mehr zur ruh'
der schäumt wütend gegen seine ufer

inmitten erhebt sich steinern die ruinenburg
schutzlos mauernberaubt dem wind gegeben

stehst du auf dem turm
blickst du über das wasser
wer kommt des weges

ich bleibe hier am abgeblühten strand
auf moorigem grund tritt suchend
versenke worte im ungewissen zähle silben
bevor der winter eiszapfen zwischen die sätze schlägt

wie die heide riecht der torf

aus: Klaus Bölling, heidetorf [violett]

1726 bauten sie Calda House, nur zehn Jahre später brannte das Herrenhaus unter mysteriösen Umständen ab. Auch hier ging es um schandhaftes Handeln. An einem Samstag feierte man eine rauschende Fete, Mitternacht nahte, aber niemand hatte die Absicht, die alkoholselige Feier abzubrechen und die Sonntagsruhe zu achten. Natürlich blieb die Schändung des heiligen Sonntags nicht ungestraft: Plötzlich fuhr ein Blitz ins Haus und entflammte die gesamte Feier. Niemand überlebte die Strafe – niemand außer dem gottesfürchtigen Piper, der pünktlich zur Mitternacht die Pipes beiseite gelegt hatte. Und zur Erinnerung an diese Ereignisse sieht man auch heute noch seltsame Lichtblitze in finsterer Nacht durch die Ruine von Calda House zucken. Man sollte diesen Ort also rechtzeitig vor der Dunkelheit verlassen, bevor Blitze aufflammen und unglückliche Geistermädel sich vom Ruinenturm stürzen.


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Es gibt ja auch schönere Plätze für den Abend. Zurück am Ardmair Point, das Meer plätschert ruhig an den Kieselstrand, dunkle Wolken ziehen vorbei. Aber zwischen den Wolken sind immer wieder Lücken, die die Leinwand öffnen für das große Sonnenuntergangsspektakel. Glutrot versinkt der Sonnenball neben Isle Martin im Meer, eine spektakuläre Lightshow nach einem Tag mit Regen, heftigem Wind und grauem Nebellicht. Allerdings eine Show, für die Opfer gebracht werden müssen. Denn die stille Abendluft nutzen auch die Midges, die Plage der Highlands. Kleine fast unsichtbare Mücken, die nur in der Dämmerung herauskommen, dann aber erbarmungslos zubeißen. Die Viecher selbst bemerkt man kaum – die stark juckenden Bisse dafür umso mehr und umso länger. Und Highland Midges sind wirkliche Highlander: Über Mückernschutzlotionen, die die gemeine deutsche Mücke zur Aufgabe zwingen, können sie nur lachen. Da müssen härtere Geschütze aufgefahren werden. Geheimtipp ist noch immer ein Mittel, das eigentlich eine Hautlotion sein soll, die die Haut so soft macht. Die Outdoorläden in den Highlands haben das Zeug vorrätig. Wer es auf die Haut aufträgt merkt, dass es als Kosmetik gänzlich ungeeignet ist und glaubt sofort, dass dies auch Highland Midges in die Flucht schlägt. Aber eben nicht nur diese.

Quer durch Sutherland geht es weiter nach Nordosten. Sutherland gehört zu den am dünnsten besiedelten Gebieten Europas, hier griffen die Highland Clearances mit besonderer Brutalität. Enge Straßen führen durch ein leeres Land. Feuchtes Heideland, kleine Seen und Flüsse, kaum Bäume und immer wieder die großartige Kulisse markanter Berge wie der Suilven mit seinen rund gehobelten Flanken. Und dann steht plötzlich mitten in der Landschaft eine der typisch roten Telefonzellen. Wer soll hier telefonieren? Hier wohnt niemand. Aber vielleicht werden sie auch nur direkt vom Tourismusverband als unverzichtbares Fotomotiv aufgestellt.

Je näher im Nordosten die Nordseeküste kommt, um so freundlicher wird die Landschaft, die schroffen Highlands liegen zurück. Aber auch Caithness bietet steile Klippenküsten. Das Land wirkt hier zivilisierter. Zurück auf der A 9, der Schlagader Schottlands, geht es durch kleine Städte und Dörfer nordwärts Richtung John O'Groats. Hier endet das Land mit einer dramatischen Klippenlandschaft, hier wird noch einmal das volle Touristenprogramm mit allem verfügbaren Schottlandkitsch aufgefahren. Aber am Horizont lockt bereits die Silhouette Orkneys.

Am Wegrand ein Friedhof, ein steinerner Engel hebt mahnend die Hand, dann Gills Bay, der Fährhafen. Aber was heißt hier Hafen? Das Terminal ein paar schrottige Container, ein Kai aus bröckelndem Beton, eine Baustelle ohne Fortschritt, oder doch nur ein Schrottplatz mit Bergen rostiger Eisenplatten? Irgendwo dazwischen wird die Fähre anlegen. Hoffentlich.


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