Die Region entwickelt sich

Am Montag hat sich auch die offizielle Delegation aus Homberg auf den Weg gemacht. Bürgermeister Martin Wagner kommt mit dem Hauptamtsleiter Joachim Bottenhorn mit dem Flieger in Minsk an. Martin Wagner sen. ist privat mitgereist.

Wir haben an diesem Tag die Zollformalitäten zu erledigen und begeben uns nach Pinsk zurück. Die Kreisstadt liegt 60 km vor Stolin am Flüsschen Pina und soll sehr schön sein. Wir haben bisher hauptsächlich den Zollhof gesehen und auch diesmal keine Zeit zu weiteren Exkursionen, da der LKW entladen werden muss. Das tun wir am Nachmittag zusammen mit unseren Partnern vom belarussischen Roten Kreuz, die die Verteilung der Hilfsgüter in Stolin übernehmen.

Brauchen die Menschen in Stolin unsere Hilfe überhaupt noch? Die Menschen sind modern gekleidet, haben Handys, fahren westliche Automarken? Oder ist diese Frage obsolet, schließlich kommen wir aus einem Land, dass Teile der Bevölkerung durch die Arbeit der Tafeln ernähren muss. Wir haben wie immer gut sortierte Kleidung dabei, die von engagierten Vereinsmitgliedern das Jahr über gesammelt und vorbereitet wird. Gerade alte Menschen, kranke Menschen und Leute, die - warum auch immer - nicht arbeiten können, sind darauf angewiesen. Ein Veterinär, der an der Grenze gearbeitet hat, bekommt ca. 130 € Pension. Ohne Zusatzverdienst und eigenen Garten geht da nichts. Und das ist der privilegiertere Teil der Bevölkerung.

Außerdem haben wir Inkontinenzartikel, Krankenunterlagen etc. dabei, die von den Herstellerfirmen gespendet werden. Zwei Paletten Papier werden an Schulen, Kindergärten und die Musikschule verteilt. In Deutschland aussortierte, fast brandneue Schultafeln können ebenfalls gut gebraucht werden. Es wird noch etwas dauern, bis auch hier die Kreide durch Elektronik ersetzt wird. Außerdem haben wir ein paar Krankenbetten nach Stolin transportiert. Ein LKW und ein Container voll Hilfsgüter, die in verschiedene Lager entladen werden.


Hilfe für Stolin

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Die offizielle Delegation erreicht Stolin am Abend und wird von Grigory Vasilevich Protosovitsky, dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Kreises Stolin und Sergey Fedorovich Sidorevich, einem der stellvertretenden Vorsitzenden, begrüßt. Stolin hat keine kommunale Selbstverwaltung, die mit Homberg vergleichbar wäre, sondern wird vom Kreis Stolin direkt verwaltet. Die Stoliner freuen sich, dass der Bürgermeister zum ersten Mal in seiner Amtszeit in die Partnerstadt gekommen ist.

Am nächsten Tag zeigen uns die Partner, wie sich ihre Region entwickelt. Sie sind stolz darauf, dass es trotz aller Schwierigkeiten voran geht. Wir fahren 30 km nach Fedory, einer Kolchose, die ein Musterbetrieb ist und gern gezeigt wird. Dort wird Rinderzucht, Milchwirtschaft sowie Getreide- und Futteranbau betrieben. Vor zwanzig Jahren waren wir auch hier. Die großen Ställe für die Rinder sind renoviert und sehen ordentlich aus.

Der Kreis Stolin ist landwirtschaftlich geprägt, es gibt weitere große Kolchosen. Auch privat wird viel angebaut, vor allem Gemüse und Gurken. Die Kolchose ist mehr als nur eine Agrarfabrik, sie ist ein komplettes soziales System mit Schule, Kultur und Verwaltung. In der Schule wird die Delegation mit einem kleinen Theaterstück auf Deutsch überrascht – spontan, so versichern zumindest die Lehrer. Wir sehen auch die Krankenstation, hier ist gerade die Zahnärztin zu Gange. Vielleicht sind Kolchosen Relikte aus der sozialistischen Ära, die an den Wandgemälden in der Schule noch präsent ist – aber was passiert mit den Menschen, wenn diese Systeme zusammenbrechen?

Zurück in Stolin geht es zu einer Schlüsselindustrie, deren Produkte uns zumindest schon länger bekannt sind. In Mankovichi gibt es die Destillerie. Auch sie gehört zu einer Kolchose. Distilled beverages and meat production steht auf der englischsprachigen Website, eine interessante Kombination. Man produziert dort 3 Mio. Liter hochwertigen Alkohol aus Getreide, der zu Wodka und verschiedenen anderen Produkten verarbeitet wird. Die Premiummarke heißt Diplomat und wird auch in den Westen exportiert.

Es gab zwischen 1986 und 1992 mal eine Antialkoholsimuskampagne in der zerfallenden UdSSR, die Website weist darauf hin. Damals stellt man um auf Kekse und Konfekt. Aber inzwischen läuft der Alkohol wieder. Wodka spielt im belarussischen Leben eine wichtige Rolle und ist ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem. Die Wodkapreise werden bewusst niedrig gehalten. Eine Flasche kostet umgerechnet zwischen 2 und 3 Euro, ein Pfund Kaffee immerhin 5 Euro. Machtsicherung mit billigem Schnaps und billigem Brot.

Zu den weiteren Stationen gehört u.a. die Molkerei, in der vor allem Käse produziert wird. Die Betriebe sind staatlich, Belarus hat gerade eine schwere Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation etwas gebremst. Ein Euro kostet es mehr als 10.000 Rubel. Im letzten Jahr war es die Hälfte.


Stolin 2012: Die Region entwickelt sich

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Unsere Partnerschaft soll wachsen

Am Nachmittag empfängt man uns in der Kreisverwaltung. Auch dort wird auf die Bedeutung der Partnerschaft und die wirtschaftliche Entwicklung hingewiesen. Wir sollen für die Landschaft und den Tourismus bei uns zu Hause werben. Auch an deutschen Investoren ist man interessiert. Bürgermeister Wagner möchte den Austausch fördern, zum Beispiel durch gegenseitige Praktika. Aber politisch herrscht gerade Eiszeit zwischen Westeuropa und Lukaschenkas Belarus. Dabei ist die Landschaft wirklich schön, die Menschen sind gastfreundlich, die Kultur ist bunt und reichhaltig. Aber es wird noch dauern, bis wir als reine Touristen zu Besuch bei Freunden kommen.

Auf dem Homberger Platz pflanzen der Kreisvorsitzende Grigory Vasilevich Protosovitsky, der Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Joachim Jerosch und Bürgermeister Martin Wagner drei Lebensbäume (Thuja) – ein gutes Zeichen für die Freundschaft. Auf dem Platz steht ein Granitstein, der an die Partnerschaft erinnert. In den letzten Jahren wurde der Platz ordentlich aufgehübscht, die Partnerschaft besser ins Bewusstsein der Stadt gebracht. Das Gegenstück steht in Homberg an der Stadtgrenze zu Holzhausen – etwas versteckt und ist längst nicht so einladend wie der Platz in Stolin.

Am Abend dann ein weiterer Empfang im Restaurant, wir feiern die Freundschaft, die Partnerschaft, die Liebe. Gedankt wird insbesondere denen, die in jedem Jahr nach Stolin kommen und die Partnerschaft lebendig halten. Den Weißrussen ist das wichtig – gerade wegen der politischen Isolation und der wirtschaftlichen Turbulenzen. Natürlich wird auch gesungen und getanzt. Auf den Tisch kommen auch Produkte aus Mankovichi: Distilled beverages and meat products. Vegetarier sein, ist bitter in Belarus.


1992-2012 | 20 Jahre Städtepartnerschaft Homberg-Stolin

Weitere Zeitungsberichte der lokalen
Tageszeitung 'Neues Palessje'
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Am nächsten Vormittag sind wir in der Schule Nr. 2 und begrüßen die Kinder, die im Sommer zum Erholungs-aufenthalt nach Homberg kommen. Für diesen Aufenthalt investiert der Verein jedes Jahr viel Geld und Energie, aber er ist das Rückgrat der Partnerschaft. Bürgermeister Wagner hat zuvor die weitere finanzielle Unterstützung der Stadt zugesagt, erst dadurch wird die Einladung der Kinder möglich.

Die Kinder profitieren, nicht nur gesundheitlich. Auch in der Schule werden wir in diesem Jahr mit großem Aufgebot begrüßt und mit einer lustigen Version der Bremer Stadtmusikanten – klar, auf deutsch – gut unterhalten.


Empfang der Kinder für den Erholungsaufenthalt 2012

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Vor der großen Partnerschaftsshow im Kulturhaus mache ich einen kurzen Abstecher zur nahen Ruine der Synagoge in der Telman Straße. Auch dieses Bauwerk erinnert an eine traumatische Begegnung der Region mit den Deutschen. Und es erinnert an eine lebendige und bunte Kultur, die im September 1942 grauenvoll ermordet wurde.

Die Synagoge ist ein Mahnmal, auch der Umgang mit ihren Resten hat sich in den 20 Jahren verändert. Anfangs war es einfach eine Ruine, die vergessen vor sich hinmoderte. Bereits beim ersten Besuch war ich fasziniert, Fragmente öffnen den Blick für so viele Möglichkeiten. Es gab wohl Bestrebungen, die Reste verschwinden zu lassen. Und es gibt Pläne sie zu rekonstruieren. Zumindest kümmert man sich wieder um diesen Teil der Geschichte Stolins, ein Schild weist auf das Gebäude hin, klein aber immerhin.

Die jüdische Geschichte Stolins findet nicht im heutigen Stolin statt, sondern in den jüdischen Gemeinden in den USA, die sich auf die Stoliner Tradition beziehen. Auf deren Internetseiten erfährt man mehr über die Bedeutung Stolins als in der Stadt selbst.


Die weiße Synagoge

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Im Kulturhaus ist alles perfekt inszeniert, die Folklore der Region wird mit allen Facetten auf der Bühne präsentiert. ‚Unser‘ Chor Kriniza hat nagelneue Kostüme, kostbar bestickt, farbenfroh. Der Chor spielt eine wichtige Rolle im staatlich organisierten Kulturbetrieb. Die Gruppe Recha tanzt, viele Ensemble zeigen ihr Können. Stolin hat eine gut ausgebildete Kulturszene, musikalische Erziehung ist an den Schulen fest verankert. Das ist staatlich sicherlich gewollt und gefördert – aber nicht nur inszeniert, wie man beim Blick in die Augen der Sängerinnen und Sänger leicht erkennen kann, besonders wenn sie uns später am Abend im Restaurant gegenüber sitzen und mit ihren markanten Stimmen die Lieder anstimmen. Wir können das nicht. Schade, aber auch ich werde wieder den iPod einstöpseln und nicht selbst singen. Welche Kultur könnten wir anbieten, wenn wir den Stolinern ein ähnliches Fest bereiten wollten? Welche Lebendigkeit?


Das Partnerschaftsfest am17. Mai im Kulturhaus

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Seit Beginn der Partnerschaft treffen wir uns mit den Freunden von Kriniza, sitzen beisammen, essen, trinken, tanzen und singen (also die Belarussen singen …). Es hat legendäre Feste in der Musikschule gegeben. In Homberg werden gern Geschichten von diesen Begegnungen erzählt – von denen, die nicht dabei waren. Die auch niemals dabei sein werden, denn Partnerschaft ist mehr als nur ein buntes Fest.

Partnerschaft ist vor allem Verantwortung. Deshalb ist es für die Stoliner wichtig, dass wir uns in jedem Jahr auf den Weg machen. Noch können sie das selbst nicht tun, aber auch das wird sich ändern. Deshalb möchten sie, dass wir zu ihnen nach Hause kommen, gehen mit uns zu ihren Verwandten, auch wenn wir nur unzureichend miteinander reden können, erkundigen sich nach unseren Familien in Homberg. Interessieren sich für die, die nicht mit nach Stolin kommen konnten. Gäste werden nicht als Belastung empfunden. Es sind in zwanzig Jahren Partnerschaft Freundschaften entstanden mit aller Freude und allem Leid.


Ein Fest für die Freundschaft

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Auf der Rückreise machen wir das obligatorische Foto beim Storch, stehen wieder mehrere Stunden an der Grenze, schimpfen, fluchen und sehen den Schirmmützen beim Schlendern zu. Spätestens im nächsten Jahr machen wir uns dann wieder auf den Weg.

Klaus Bölling, Mai 2012


Auf Wiedersehen im nächsten Jahr

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Das Team des Partnerschaftsvereins:

Helmut Albert
Horst Bartsch
Klaus Bölling
Joachim, Valentina + Sebastian Jerosch
Dieter Kirchner
Dieter Krippner
Günter Wesemüller

Die Delegation der Stadt Homberg:

Bürgermeister Martin Wagner
Hauptamtsleiter Joachim Bottenhorn

privat auf eig. Kosten:
Martin Wagner sen.

 

v.l.: Dieter Krippner, Horst Bartsch, Helmut Albert, Günter Wesemüller, Joachim, Valentina und Sebastian Jerosch, Dieter Kirchner, Klaus Bölling


Teil 1: 20 Jahre Städtepartnerschaft Homberg-Stolin


1993-2013 | 20 Jahre Partnerschaftsverein Homberg-Stolin e.V.


Lebendige Partnerschaft

 

Der Partnerschaftsverein Homberg-Stolin e.V. hält die Partnerschaft lebendig, unterstützt Stolin mit Hilfstransporten und ermöglicht in jedem Jahr Stoliner Kindern einen Erholungsaufenthalt in Homberg.

Das geht nur mit Ihrer Unterstützung. Bitte helfen Sie uns mit Ihrer Spende, damit wir diese Arbeit fortsetzen können. 

Partnerschaftsverein Homberg-Stolin e.V.
Joachim Jerosch
Wiesbadener Ring 12
34576 Homberg (Efze)
Tel.: 05681 5211 • jerosch@homberg-stolin.de

Spendenkonten:

  • Kreissparkasse Schwalm-Eder, BLZ 520 521 54, Kto-Nr. 0081002990
  • VR-Bank Schwalm-Eder e.G., BLZ 520 626 01, Kto-Nr. 51900

Wir gestalten die Partnerschaft mit Stolin in Belarus