1993-2013 | 20 Jahre Partnerschaftsverein Homberg-Stolin e.V.
Im Jahr 1992 war die Sowjetunion zerfallen, die Atomkatastrophe von
Chernobyl sechs Jahre her und Homberg auf der Suche nach einer
Partnerstadt. Homberg wollte nicht nur Partnerschaft, sondern auch
Hilfe leisten.
So fiel die Wahl auf Stolin, eine Stadt von der Größe
Hombergs in der seit Juli 1990 souveränen Belarussischen
Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR), einer Stadt im Falloutgebiet
des nur 230 km Luftlinie entfernten Katastrophenreaktors. Hier waren
im April 1986 die ersten radioaktiven Niederschläge nach der
Explosion des Atomkraftwerks niedergegangen. Während in Deutschland
die Kinder die Häuser nicht verlassen durften und der Salat aus dem
eigenen Garten vernichtet wurde, wussten die Menschen hier noch
nichts von der Gefahr. Die sowjetischen Desinformationsmechanismen
funktionierten noch perfekt. Noch am 1. Mai genossen die Menschen
die Sonne und die Paraden auf bereits radioaktiv verseuchtem Boden.
1992 wurde aus der BSSR die Republik
Belarus und in Homberg startete der erste Hilfstransport in eine
völlig unbekannte, weit entfernte Region. Aus der ersten Hilfe wurde
eine offizielle Städtepartnerschaft und eine Freundschaft, die seit
1993 durch den Partnerschaftsverein Homberg-Stolin e.V. gepflegt
wird. Diesen 20sten Jahrestag hat der Verein am 13. August 2013 in
Stolin zusammen mit den alten und neuen belarussischen Freunden
gefeiert.
Touristische Pioniere | Eine Reise nach Stolin
Eine 23köpfige Delegation des Vereins war vom 9. August
bis zum 16. August in der 1.500 km entfernten Partnerstadt nahe der
ukrainischen Grenze - diesmal mit dem Reisebus und nicht mit dem
Hilfstransport. Den Hilfstransport
hatten wir bereits im Mai durchgeführt. Die
Kultur und die Sehenswürdigkeiten der Region Polesien standen
diesmal im Mittelpunkt der Reise. Polesien gehört zu den einmaligen
Naturgebieten und verfügt über das größte Sumpfgebiet Europas. Wir
waren unterwegs als touristische Pioniere in eine touristisch noch
weitgehend unerschlossene Region. Übernachtet haben wir im Hotel
'Goryn', gegessen im Restaurant oder Bars.
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Töpferdorf Gorodnaya
Im
einige Kilometer außerhalb gelegenen Dorf Gorodnaya (auch:
Haradnaja) wird die
Tradition der regionalen Töpferei bewahrt und gezeigt. Im örtliche
Museum werden traditionelle sowie moderne Töpferwaren gezeigt. Das
Dorf ist seit Jahrhunderten ein Zentrum der Töpferei, was vor allem
durch den hier vorhandenen besonders feinen und qualitativ
hochwertigen Ton bedingt ist. Ein original hergerichtetes kleines
Holzhaus zeigt die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Töpfer.
Bereits im 15. Jahrhundert erhielt Gorodnaya Stadtrechte nach dem
Magdeburger Recht, wie die Direktorin des Museums, Olympiada
Leonovets, erläuterte.
Größere Kartenansicht
Heute wird die Töpferkunst hier mühsam
bewahrt, es wird hauptsächlich für das Museum produziert. In den
verheerenden Kämpfen des 2. Weltkriegs, die gerade in dieser Region
wüteten wurde Gorodnaya bombardiert - wahrscheinlich vermutete man
hinter den qualmenden Töpferöfen industrielle Betriebe.
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Nicht nur
in Gorodnaya wird es noch lange dauern, bis aus den interessanten
Resten der polesischen Kultur und Tradition wieder - auch
touristisch erschlossenes - neues Leben entsteht. In Stolin selbst
haben wir den Mankovichi Park mit dem regionalen Museum besucht. Der
1885 angelegte Park gehörte zum Grundbesitz eines Zweigs der
litauisch-weißrussischen Adelsfamilie Radziwill, die hier Anfang des
20. Jahrhunderts ihren Sommersitz errichtete.
Mankovichi Park
Der im englischen Stil
über dem Ufer des Kopanets und der weiten sumpfigen Ebene errichtet
Park gehörte zu den berühmtesten Zeugnissen der Gartenkunst auf dem
Gebiet Weißrusslands, das damals polnisch war. Mehr als 35 Baumarten
wurden angepflanzt, immer wieder eröffneten sich aus der gestalteten
Natur interessante Blickachsen in die wasserreiche Naturlandschaft.
Vom einstigen Park ist nur noch die Hälfte der Fläche vorhanden,
diese wird aber seit 1963 als nationales Denkmal geschützt. Die
Sommerresidenz war im Krieg deutsche Kommandantur, wurde bei den
Kämpfen um die Befreiung Stolins im Juli 1944 stark beschädigt und
in den 50er Jahren restlos abgetragen. Im Museum zeigt ein Modell
das Gebäude, das in seiner Gestaltung Bezug auf den Hauptsitz des
Radziwills in Nesvizh (Minsker Gebiet). Der Park ist eine versteckte
Schönheit, ein verlorener Garten, der wiederentdeckt werden will.
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Bei den
Besuchen in den Museen - neben dem Regionalmuseum in Stolin konnten
wir auch ein Museum in der 60 km entfernten nächst größeren Stadt
Pink besuchen - wird man immer wieder mit der schlimmen Geschichte
der Region im 2. Weltkrieg konfrontiert. Hier tobten die schlimmsten
Kämpfe (Pripjat- Sümpfe) mit verheerenden Auswirkungen auf die
Bevölkerung.
Nahezu ein Viertel der einst hier lebenden Menschen
wurde getötet, ermordet oder vertrieben. Die Mehrheit der in Stolin
lebenden Menschen war vor dem Krieg jüdisch. Im August 1941 wird
Stolin von der deutschen Wehrmacht und ihr verbundenen ukrainischen
Hilfstruppen besetzt, im September 1942 werden die zuvor im Ghetto
zusammengetrieben Juden im Wald oberhalb des Nachbardorfs Mankovichi
systematisch ermordet. Zwischen 7.000 und 12.000 Menschen liegen in
dem Massengrab von Stasina, für das eine vorhandene Grube genutzt
wurde, die Baustelle eines Militärflughafens, den die Bolschewisten
hier anlegen wollten.
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Im Stoliner Museum wird diese Geschichte nur
nebenbei gezeigt. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Museums hat
sie uns erzählt. Nach dem Krieg wurde zunächst nicht an die Opfern
des Holocaust erinnert - es waren alle Opfer im 'Großen
vaterländischen Krieg' Krieg, der auch mit Hilfe der Partisanen
gewonnen wurde. Inzwischen gibt es an der Gedenkstätte Stasina aber
neben dem heroischen sowjetischen Denkmal auch das jüdische Denkmal
für die Stoliner Opfer des Holocaust. Leider stand der Besuch der
versteckt und abgelegen im Wald liegenden Gedenkstätte nicht auf dem
von der Stoliner Kreisverwaltung ausgearbeiteten Besuchsprogramm.
Die
Geschichte der Befreiung Stolins durch die Rote Armee am 9. Juli
1944 wird im Museum ebenfalls gezeigt, auch die Geschichte der in
Belarus als Teil des modernen Nationalmythos verstandenen und
überhöhten Partisanenbewegung. Nicht alle Partisanengruppen kämpften
im Sinne der von den Kommunisten ausgebildeten und ausgerüsteten
Gruppen. Es gab auch nationalistisch gesinnte Partisanengruppen,
deren versprengte Reste die Bevölkerung der Region noch bis in die
50er Jahre terrorisierten und die gegen die Kommunisten und für eine
Großukraine kämpften. Auch dies haben wir im Museum erzählt
bekommen.
Teil 2/Part
2/частка 2: Stolin blüht auf
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