Andelgras
Noch sind die Salzwiesen mehr grau als grün, aber die aus Westeuropa zurückkehrenden
Gänse beweisen, dass es schon wieder etwas zu fressen geben muss. Der Andel,
das dominierende Gras der unteren Salzwiesenzonen, beginnt bereits zu sprießen.
Seine nahrhaften Blattspitzen sind - neben dem Strandwegerich - in den nächsten
Wochen die Hauptnahrung für Zehntausende von Ringel- und Nonnengänsen.
Der
Andel ist sehr widerstandsfähig gegen Beweidung durch z.B. Schafe. Breitblättrige
Pflanzen werden durch den Verbiss ihrer Knospen und Blätter schwer getroffen
und verschwinden bei intensiver Beweidung. Anders der Andel: Er treibt immer
wieder von unten nach und breitet sich durch flach kriechende Ausläufer aus.
Daher waren die 70er und 80er Jahre an der Westküste die Ära des Andelgrases.
Die übermäßige Schafbeweidung hatte viele andere Salzwiesenpflanzen verdrängt
und riesige Andelrasen geschaffen. Inzwischen erobern sich aber Keilmelde,
Strandaster und Halligflieder ihre ehemaligen Standorte zurück.
Wo ist der Andel zu finden?
Allüberall an den Vorlandspitzen sieht man die Horste des Andels sitzen. Seine
Wuchszone beginnt nämlich an der Hochwasserlinie, wo er durch Ausläufer
schnell dichte Rasen bildet. Der Andel ist nach Queller und Schlickgras eine der
robustesten Salzwiesenpflanzen, da er regelmäßige Überflutungen erträgt.
Bald nach dem Andelgras siedelt sich in ungestörten Salzwiesen die Keilmelde
an, gefolgt von Strandaster und Halligflieder. Diese Kräuter, die höher
aufgeschlickte Bereiche benötigen, können den Andel überwuchern und ihn
dadurch verdrängen. Deshalb ist der Andel in natürlichen Salzwiesen meist auf
die Kampf- und Anwachszone an der Flutlinie beschränkt, wo er die jüngsten
Salzwiesen bildet.
Der Andel blüht im Hochsommer in unscheinbaren, oft violett überhauchten
Rispen.
Hätten Sie gedacht, dass...
- der Name "Andel" sich von "andeel" (= Anteil)
ableitet, weil das Gras dort wächst, wo Bauern früher durch
Vorlandgewinnung neue Nutzungsrechte (= Anteile) gewinnen konnten?
- es in der höheren Salzwiese zwei weitere Arten des Andels (=
Salzschwaden) gibt, von denen eine sich durch den Streusalz-Einsatz entlang
der Autobahnen bis weit ins Binnenland ausbreiten konnte?
- sich mindestens 21 verschiedene Insektenarten am Andel entwickeln,
insbesondere kleine Halmfliegen, deren Larven im Grashalm wohnen?
- der Andel auch für Laien gut erkennbar ist, denn er ist blaugrün, wächst
nahe der Flutkante und hat lange Ausläufer mit geraden Blättern, die in
einem Winkel von 45 abstehen.
- der Andel zu den besonders eiweißreichen Gräsern zählt, was eine so
intensive Schafhaltung auf den Vorländern überhaupt erst möglich machte?
- die Wuchsgeschwindigkeit des Andels genau mit dem Beweidungsrhythmus der
Ringelgänse abgestimmt ist? Alle 3 Tage, wenn der Andel gerade am
schnellsten wächst, beißt die Gans ihn wieder ab und hält ihn so ständig
bei höchster Wuchsleistung.
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