Reformationsstadt Homberg - Die Homberger Synode
Etwas breit hockt er dort auf dem Homberger Marktplatz, in Bronze
gegossen und blickt auf das manchmal wundersame Geschehen in dieser
Stadt, die zu seiner Zeit noch eine bedeutende war. Landgraf Philipp,
genannt der Großmütige, ein Politiker, der weit über seinen eigentlich
unbedeutenden Machtbereich als Landgraf in Kassel hinaus wirkte,
europaweit Politik machte.
Warum hockt der Bursche dort und glotzt mit toten Augen auf die
Stadt? Und warum zeigt er so kokett den Nippel seiner linken Brust und
den Bauchnabel? Wird
diese trotzdem biedere Statue, die nicht mehr ist als die dreidimensionale
Umsetzung historischer Portraits, diesem Mann gerecht? Heute mag es
erstaunlich sein: Aber von dieser Stadt ging einmal ein Umsturz aus,
eine revolutionäre Bewegung. Und der tote Bronzelandgraf war ein Kopf
dieser Bewegung.
Die manchmal etwas träge Stadt Homberg nennt sich seit einigen Jahren
Reformationsstadt . Ein hoher Anspruch, ein großes Erbe. 1526 fand in
Homberg eine Versammlung statt, mit der Landgraf Philipp nicht nur seine
Grafschaft verändern wollte, die europaweit Referenz für weitere
Versammlungen wurde. Die Homberger Synode war nicht so sehr eine
kirchliche Versammlung, sondern auch im Sinne der damaligen Landtage
eine Zusammenkunft kirchlicher und weltlicher Würdenträger der
Landgrafschaft Hessen. Allerdings bezog man sich bei der Homberger
Synode durchaus auf die biblischen Überlieferungen einer Zusammenkunft
der Gläubigen der Urgemeinde, wenn Glaubensfragen geklärt werden
mussten.
Natürlich handelte auch Landgraf Philipp nicht gegen seine Zeit, als
er für den 21. - 23. Oktober 1526 zu dieser Versammlung nach Homberg
einlud. die reformatorischen Ideen Luthers waren bereits weit verbreitet
und auf fruchtbaren Boden gestoßen. Die Zeit war reif für eine
Emanzipation von der Macht der katholischen Kirche und der Päpste, die
lokalen Herrscher waren selbstbewusster geworden - zudem wollten sie
sich von der Abgabenlast an Rom befreien. Kaiser Karl V. konnte dem nur
wenig entgegensetzen, da er in etliche Kriege verwickelt war und es sich
nicht leisten konnte, einen Konflikt mit den lokalen Herrschern
herbeizuführen. 1526 wurde das Wormser Edikt aufgehoben, damit stand es
den Landesfürsten frei, über die Konfession ihres Machtbereichs zu
entscheiden.
In diesem Zusammenhang zeigt Philipp großen Mut - er entscheidet
nicht aufgrund seiner landesherrlichen Macht, er will den Disput, die
Auseinandersetzung um den richtigen Glauben. Er will keine Entscheidung
der Macht, sondern eine Entscheidung aus Überzeugung. Dies ist der Zweck der
Homberger Synode, dies ist auch das Neue, das Reformatorische,
Revolutionäre an dieser Zusammenkunft in Homberg. Im Vorfeld der Versammlung wird Franz Lambert von
Avignon mit der Erstellung eines Diskussionspapiers beauftragt.
Lambert, ein ehemaliger Minoritenmönch, ist auch unter den
Reformatoren ein Außenseiter. Er ist ein Verehrer Luthers, dem gehen
seine Ansichten und insbesondere seine Ansätze zur Kirchenorganisation
zu weit. Luther geht es nur um den Glauben. Für Lambert ist eine Ehre,
die Thesen für die Homberger Synode entwerfen zu dürfen. Nur drei Wochen
brauchte er, um seine Neuordnung der Kirche zu entwerfen und theologisch
zu begründen. Er verfasste 158 Thesen und 47 Anhänge, die in 23 Gruppen
zusammengefasst wurden. unterstützt wurde er dabei von Adam Krafft,
einem der wichtigsten Berater Philipps. Der spätere Marburger Professor
war einer der Motoren der Reformation in Hessen. In Homberg trägt eine
Straße seinen Namen.
Die Versammlung im Oktober war sicherlich eine große Sache für
Homberg. Obwohl die Handelsstadt damals keineswegs abseits der Welt lag,
sondern am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen regen Verkehr aufwies
und über viele Herbergen verfügte. Auch dies war ein Grund für die Wahl
des Tagungsortes.
Die Versammlung begann am 21. Oktober und wurde von Kanzler des
Landgrafen Johann Feige eröffnet. Dieser begründete die Zusammenkunft
mit der Notwendigkeit einer Diskussion über die neuen Glaubensansätze,
denen in der Landgrafschaft bereits einige Regionen beigetreten waren.
Lambert trug seine Thesen auf Latein vor, Krafft übersetzte. Lambert
begründete seine These aus der Bibel (auch auf lateinisch), Krafft
übersetzte. Auch Homberger Bürger waren in die Kirche gekommen - waren
sie fasziniert, verstanden sie, was hier vor sich ging?
Widerspruch gegen Lamberts Thesen erhob an diesem ersten Tag nur der
Franziskaner Nikolaus Ferber aus Marburg. Ferber war es auch, der am
nächsten Tag die Thesen Lamberts widerlegen sollte. Dazu war er aber
nicht bereit, sondern bestritt im Beharren auf den
Alleinvertretungsanspruch der katholischen Kirche der Versammlung das
Recht, über Glaubensfragen zu disputieren. Dies wies Landgraf Philipp in
seinem einzigen Beitrag zur Synode entschieden zurück. Lambert konnte
Ferber schließlich doch noch zur Verlesung von 100 Entgegnungen zu
seinen Thesen reizen. Diese fanden in der Versammlung jedoch keinen
Anklang, sie bezogen sich ebenfalls auf Verfahrensfragen und waren oft
beleidigend. Die römisch-katholische Kirche hatte der neuen Bewegung nur
wenig entgegenzusetzen. Ferber musste sogar das von Landgraf Philipp
garantierte freie Geleit in Anspruch nehmen, um den Ort der Synode
unbehelligt verlassen zu können.
Am dritten Tag wagte der Magister Johannes Sperber einen weiteren
Disput mit Lambert, war diesem aber nicht gewachsen. Die Entscheidung
der Homberger Synode war klar. Die Synode erteilte den reformatorischen
Geistlichen den Auftrag, eine neue Kirchenordnung für das Land Hessen zu
erarbeiten.
Zwar wurden viele Ansätze Lamberts
niemals umgesetzt, da sie auch für Luther zu weitgehend waren - die
politischen Auswirkungen der Synode waren jedoch bedeutend. Die
römisch-katholische Kirche verlor nicht nur ihren weltlichen
Machtanspruch, sondern mit der Säkularisierung auch ihre wirtschaftliche
Bedeutung. Ihr Eigentum wurde verstaatlicht und diente z.B. zur Gründung
der Marburger Universität, an der Lambert als Professor lehrte. Aber
auch Stiftungen entstanden - schließlich mussten die ledig gebliebenen
adligen Damen versorgt werden, die vormals in den Klöstern Unterkunft
fanden. Zudem war die Homberger Synode als quasi demokratischer Akt
Vorbild für andere Fürsten, die ähnliche Versammlungen einberiefen.
So sitzt der etwas triefelig geratene Bronzelandgraf also auf dem
Homberger Marktplatz, zeigt Brust und Bauchnabel und weiß wohl auch
nicht so recht, was er hier soll. Vom richtigen Landgraf gibt es noch
die Anekdote, er habe drei Hoden gehabt. Zumindest diente ihm das als
Begründung für die Verheiratung mit einer zweiten Frau neben seiner
ersten (Christine von Sachsen), die er aus machtpolitischen Gründen
geheiratet hatte. Seine Zweitfrau Margarethe von der Saale heiratete er
1540 im Beisein des Reformators Philipp Melanchton. Die Doppelehe
brachte ihm natürlich Schwierigkeiten, hatte Kaiser Karl V. doch nun
endlich eine Handhabe gegen den aufmüpfigen Philipp. Im Schmalkaldischen
Krieg musste er sich dem Kaiser unterwerfen und wanderte für fünf Jahre
in Gefangenschaft in den Niederlanden.
Die Thesen der Reformation
"Nur das ist richtig, was mit Gottes Wort
übereinstimmt; nur es allein ist stets der sicherste Maßstab dafür,
ob etwas recht ist." Dies ist einer der Leitsätze aus den
Paradoxa Franz Lamberts von Avignon, die als Diskussionsgrundlage
der Homberger Synode aufgestellt wurden. Es ist auch eine gute
Zusammenfassung der Ansätze der Reformation, die sich gegen die
traditionelle Kirche stellte, die ihre Legitimation zu einem großen
Teil aus der Kirchengeschichte und der damit verbundenen
machtpolitischen Position bezog.
Den Reformatoren ging es um den Glauben, sie wollten
Schluss machen mit all den Entwicklungen, die die Kirche nach ihrer
Meinung vom wahren Glauben wie er in der Bibel überliefert wird
entfernt haben. Ablasshandel (zur Finanzierung des Papsttums in
Rom), Heiligenverehrung, lateinische Predigten, die das Volk nicht
versteht - all dies bildete die Grundlage für die reformatorischen
Ansätze. Heute könnte man also sagen, die Reformation war durchaus
eine fundamentalistische Bewegung, die in ihrer Folge auch
gewaltsame Züge entwickelte (Bildersturm, Bauernkrieg,
Täuferbewegung).
Während Luther mehr den realpolitischen Flügel der
Reformation vertrat und Änderungen so umsetzen wollte, dass sie für
die Gläubigen nachvollziehbar waren (Gottesdienst in deutscher
Sprache, aber keine vollständige Änderung der Liturgie, kein
grundsätzliches Bildverbot), war Lambert in seinen Ansätzen für die
Reformation in Hessen radikaler. Letztlich wurde die auf Grundlager
seiner Thesen erarbeitete Kirchenordnung für Hessen nicht
umgesetzt, sondern die von Luther beeinflussten reformatorischen
Ideen aus Sachsen übernommen.
Erfolg hatte die Reformation, weil mehrere Aspekte
zusammenkamen. Die Gläubigen waren einer Kirche überdrüssig, die
Gnade nur gegen permanente gute Taten versprach (dies konnte z.B.
auch der Kauf eines Ablasses zur Finanzierung des Petersdoms sein),
die ihre Macht kompromisslos durchsetzte und auch vor Korruption
nicht zurückschreckte. All dies stand den aufkommenden
emanzipatorischen Ideen des Bürgertums entgegen. Die entrechteten Bauern
wiederum fanden in der nun deutsch vorliegenden Bibel und den
Predigten der reformatorischen Geistlichen Argumente gegen ihre
Entrechtung und Entmenschlichung.
Für die Landesfürsten war die Reformation eine gute
Gelegenheit, sich unabhängiger von den Machtansprüchen der Kirche zu
machen, sich von Abgaben an Rom zu befreien, ihre eigene Macht
auszubauen - auch gegen den Kaiser- und mit der Säkularisierung
kirchlichen Eigentums eigene Landesentwicklung zu betreiben (z.B.
Gründung der Universität Marburg). |
Quelle: u.a. Wikipedia
Hombergs
Stadtkirche St. Marien